Sebastian P. aus Jena hat als Thema für diesen Blogbeitrag vorgeschlagen:
„Wie entspanne ich mental im Tango?“
Sebastian T., Tangolehrer im ART.13, zählt sich selbst zu den unsichersten und schüchternsten Menschen in der Welt des Tangos. Wir haben ihn daher zu diesem besonderen Thema befragt. Das Interview führte ebenfalls Sebastian aus dem ART.13.
Sebastian ART.13: Hallo Sebastian, schön, dass du dir heute für unser Interview Zeit nehmen konntest! Was war denn dein einprägsamstes Erlebnis mit Nervosität und Unsicherheit im Tango?
Sebastian, T.: Hallo Sebastian! Ich bin wirklich sehr unsicher im Umgang mit neuen Menschen. Vor allem, wenn sie selbstsicher auf mich wirken oder ich sie interessant finde. Ich glaube, die ersten 15 Tangojahre habe ich nur getanzt, wenn ich aufgefordert wurde. Am lustigsten war es, als Chantal mich zum ersten mal aufgefordert hat. Sie hat nach meinem Namen gefragt. Schockstarre. …Na, man kann ja nicht immer auf alles eine Antwort haben… Zum Glück hat sie trotzdem noch mit mir getanzt und es war wohl ganz schön. Aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern, Blackout.
Ich hab daraus gelernt, dass in den wichtigen Momenten ganz andere Dinge eine Rolle spielen, als die Sequenzen, die ich tanzen kann oder wie cool ich wirke.
13: Wie ist das heute? Forderst du inzwischen häufiger auf?
T: Ich mache kleine Fortschritte, übe auf Tangomarathons. Dort hilft mir der Cabeceo, denn ein Blickkontakt geht ja immer von beiden Personen aus. Damit ist dann schon klar, dass beiderseitiges Interesse besteht. Wir fordern uns dabei quasi gegenseitig auf. Außerdem sind für mich die Cabeceos wirklich magische Momente. Das funktioniert natürlich nur, wenn es in der Milonga nicht um die lokale Tangohierarchie geht, sondern die Menschen offen sind für Begegnungen.
13: Obwohl Du Cabeceos magst, ermutigt ihr die Menschen in euren Kursen und auf eurer Milonga auch direkt nach Tänzen zu fragen. Warum?
T: In Berlin ist der Cabeceo für mich oft schwierig, weil zu viele Menschen nur mit Bekannten tanzen. Ich glaube, beim Tango sind eigentlich die meisten Menschen ziemlich schüchtern.
Aber auch dieser Gedanke hilft mir persönlich: Ich gehe inzwischen immer davon aus, dass die andere Person auf jeden Fall noch nervöser ist als ich. Dann darf ich sie erst einmal beruhigen, bevor es losgeht und werde selbst auch ruhiger.
13: Aber irgendwann müsst ihr ja dann tanzen…
T: Für mich ist das so: Während wir uns Zeit nehmen, uns zu beruhigen, entstehen meistens auch eine sehr schöne Verbindung und Nähe, in der wir einander zuhören können, ohne, dass wir tanzen.
Ich tanze auf Milongas jedenfalls so, dass diese Verbundenheit immer bewahrt und vertieft wird. So taste ich mich dann in meiner „Choreographie“ ganz langsam vor, schaue, was uns gemeinsam möglich ist.
Für mich die wichtigste Erkenntnis: Die schönsten Tänze sind schöne Begegnungen, schöne Umarmungen. Um jemandem zu begegnen, muss man eigentlich gar nicht tanzen können!
13: …Also LANGSAM tanzen …
T: Jepp. Und vielleicht den letzten Abschnitt zur Sicherheit nochmal lesen.
13: Funktioniert das mit allen?
T: Na, vielleicht mit 85%. Das reicht mir, weil es mit diesen 85% wirklich schön ist!
13: Wenn ihr dann so in der Milonga steht oder im Schneckentempo tanzt – wo bleibt da eigentlich die tänzerische Kreativität? Passiert da überhaupt noch etwas? Und was ist mit den ganzen coolen Bewegungen aus Euren Kursen?
T: Frag mal eine Schnecke… da schießen manchmal Pilze aus dem Boden, kannst Du gar nicht schnell genug ausweichen…(Dank an Jörg für diesen Spruch!)
Ich finde, je langsamer wir tanzen, umso mehr passiert. Vielleicht nicht choreographisch, aber die Intensität, mit der ich alle Bewegungen und ihr Zusammenspiel erlebe, ist langsam viel größer. Außerdem können wir langsam viel besser mit der Musik spielen.
13: Neulich habe ich genau gesehen, wie du mit einer anderen Tangolehrerin getanzt hast und ihr habt die ganze Zeit ziemlich schwieriges Zeug gemacht. Warum seid ihr nicht einfach stehengeblieben?
T: Wann hast Du mich denn tanzen gesehen? Ich dachte, Du musst immer zu Hause bei Deinen Kindern bleiben?
OK. Manchmal tanze ich schnell. Trotzdem: Das schönste im Tango bleibt auch dann für mich diese Kombination aus dem Gefühl von Gemeinsamkeit, der intensiven Begegnung und dem Spiel mit der Musik.
13: Tango = Begegnung + Musik?
T: Genau. Und das kann wieder entspannen. In der Milonga sind choreographische Herausforderungen nicht wichtig sind, um schön zu tanzen! Trotzdem ist es gut, im Kurs schwierige Sequenzen zu üben. So verbessern wir z.B. unsere Körperbeherrschung und unser Gefühl für das Tanzpaar. Und irgendwann integrieren wir auch vieles in unseren Tangostil.
13: Also kein Leistungsdruck?
T: Auf keinen Fall! Tango war ja ursprünglich gar keine Prüfung. Weder die Folgenden „bewerten“ die Führenden danach, mit wie schwierigen Sequenzen die Führenden die Folgenden überfordern, noch tanzen die Führenden mit den Folgenden, um diese zu testen oder herauszufinden, was die Folgenden alles nicht können! Trotzdem fürchten viele genau diese Prüfungssituation. Das können wir wieder loslassen, wenn wir uns auf das Wesentliche besinnen.
13: Du meinst also, je mehr wir uns der Seele des Tangos annähern, umso entspannter werden wir?
T: Das hätte ich jetzt selbst nicht besser formulieren können. Gut, dass Du das direkt schon so markiert hast.
13: Hast du trotzdem noch etwas hinzuzufügen?
T: Ich glaube es reicht. Es gibt ja auch die Kommentarfunktion…für Fragen oder weitere Anregungen.
13: Dann bis zum nächsten Mal!
T: Bis zum nächsten Mal!