Die Geschichte des Tangos in Youtube-Videos
Eine interessante Referenz: Ballroom Tango 2020
Bevor wir uns ein paar alte Videos anschauen, geht es los mit der Gegenwart – in einer anderen Welt: Ballroom Tango, 21. Jahrhundert:
Wie gesagt, eine andere Welt. Aber achtet doch beim zweiten Mal Anschauen auf folgende Details:
- Die Blickrichtung der Tanzenden
- Die Schritte in Drehungen des Paares
- Die vielen Promenaden
- Kommt das Drehsystem vor (Rück-Seit-Vor-Seit)?
- Wiegeschritte
Ich finde, dass es sehr interessanter ist, die alten Videos anzuschauen, wenn man vorher diesen Eindruck des modernen Ballroom-Tangos hatte…
Der ursprüngliche Argentinische Tango
Niemand weiß heute mehr wirklich, wie um oder kurz nach 1900 in Argentinien Tango getanzt wurde. Was wir wissen ist, dass es bereits in den 20er Jahren zwei unterschiedliche Versionen des Tangos gab, eine europäische und eine argentinische. Und wir wissen, dass die argentinischen Milongueros den europäischen Tango nicht besonders schätzten.
Ich möchte zum Thema ursprünglicher Tango mehrere Videos vorstellen. Schaut man sie alle, kann man sich vielleicht ein Bild davon machen, wie in Argentinien getanzt wurde, auch wenn natürlich keine der Aufnahmen auf einem Argentinischen Dorffest entstanden ist.
Nachdem ich viele Bilder und Videos von altem Tango angeschaut habe, gehe ich davon aus, dass Tango um 1900 zumindest folgende Eigenschaften hatte:
- Die Tanzenden gingen die meiste Zeit recht stark in die Knie.
- Der Tanz war rhythmus- nicht melodiebetont.
- Die Tanzenden schauten oft in dieselbe Richtung und berührten sich dabei mit den Gesichtern.
- Es wurde sehr viel in der Promenadenposition getanzt.
- Es wurde ziemlich viel „gehüpft“.
- Der Tanz war recht wild und es wirkten viele Kräfte in der Umarmung.
- Wiegeschritte spielten eine sehr große Rolle.
- Die Umarmung war relativ konstant, wurde aber häufiger geöffnet.
- Was wir heute als Endposen verwenden wurde auch mitten in den Tanz eingefügt.
- Die Schrittfolge, welche wir heute als Drehsystem oder Code of walking kennen, kam nur selten vor, und wenn, dann zufällig.
Die erste Aufnahme zeigt eine Tango Aufführung, angeblich im Jahre 1920. Ich vermute, solche Performances meinte carmencita Calderon mit „Tango Acrobatico“.
Die zweite Aufnahme ist sehr bekannt und stammt aus dem Film „The Four Horsemen oft he Apocalypse“ aus dem Jahre 1921:
Diese Szene ist hoch interessant. Sie enthält eine verblüffende Anzahl von Klischees, die bis heute in unzähligen Variationen in Filmen und Performances wiederholt wurden. Besonders spannend finde ich, dass bereits 1921 in einem US-Kinofilm der Topos zweier Versionen des Tangos vorkommt, von welchen eine auf Seiten der ursprünglichen Tangotanzenden Ablehnung erfährt. In einem Internet-Review dieser Szene fand ich übrigens den Hinweis, dass Valentinos Art Tango zu tanzen von Zeitgenossen als nicht authentisch kritisiert wurde…
Die dritte Szene stammt aus dem Film „Tango“ von 1933. In ihr tanzen Carmencita Calderon und El Cachafaz. Zuerst allein, danach in einer Milonga-Szene.
Interessant in diesem Video ist wieder unter anderem der stilistische Vergleich zwischen Calderon und Cachafaz einerseits und den Milongagästen andererseits.
Im folgenden Video tanzt „El Pibe Palermo“, auch genannt „El Dividido“ – der Unterteilte, da er mit dem Oberkörper den Tango der 40er tanzte, mit den Beinen den Tango der Jahrhundertwende:
Zuletzt noch ein Video zum europäischen Tango in den 20ern bzw. 30ern:
Tango in den 30ern und 40ern
Dieses Video ist eine sehr schöne Zusammenstellung von Clips aus Filmen der 30er und 40er. Jedem Tanz wird der Name des Filmes und das Jahr der Veröffentlichung vorangestellt. Achtet darauf, wie sich die Choreographie und die Haltung verändern!
„Secrets of a Secretary“, 1931: In diesem Ausschnitt tanzt das Hauptpaar eigentlich genauso, wie das Paar, das in den „Four Horsemen“ durch Valentinos Figur und ihren authentischen Tango ersetzt wird. Die anderen Paare wiederum tanzen in diesem Film eine noch weiter geglättete Version mit denselben Schritten aber viel weniger ausladend und viel weniger in den Knien.
„Always Goodbye“, 1938: Hier geht es wieder um eine Social Dance Szene. Der Tanz sieht dem Tango aus Secrets of a Secretary ähnlich, ist eventuell noch reduzierter, noch aufrechter.
„Outpost in Morocco“, 1948: Da die Szene wohl in Marokko spielt können wir davon ausgehen, dass die Tanzenden eher in einer europäisch geprägten Schule gelernt haben. Interessant ist, wie eng alle Umarmungen sind und dass deshalb bereits deutlich sichtbar viele Vorschritte durch Fußkreuze ersetzt sind. Genau diese Bewegungstechnik zeichnete in den 50er Jahren in Argentinien den „Estilo Milonguero“ aus. Am Repertoire hat sich erneut nichts geändert.
Tango in den 40ern und 50ern
Lita und Jorge Mendez…Kennt jemand ein Element, das nicht in diesem Tanz vorkommt?
und ebenfalls von den beiden ein Tanz, der ganz klar auf dem Drehsystem basiert. Ältere Elemente kommen genauso vor, sind aber in den „Code“ eingebettet. Dieser Tanz ist von 1951, dürfte also auch ganz gut die zweite Hälfte der 40er wiederspiegeln, zumindest in Argentinien.
In den 60er und 70er Jahren verlor der Tango in Argentinien massiv an Popularität. Aber in Europa…
Watch and see:
Sowohl die stilistischen Unterschiede zum Video davor als auch die choreographischen Anleihen sind erkennbar. Aber: Kein Drehsystem – der Ballroom Tango hat diese Struktur nie übernommen.
Doch auch in Argentinien wurde weiter getanzt. Einer der wichtigsten Tänzer ist Antonio Todaro. Todaro beeinflusste maßgeblich die Choreographien der Tango Musicals, mit deren Hilfe der Tango ab den 80ern wieder weltweit beliebt wurde.
Die Tango Renaissance der 80er Jahre
In den 80er Jahren war der Tango in Form von international tourenden Musicals zurück auf den Bühnen Europas und weltweit. Leider habe ich keine Videodokumente dieser Musicals gefunden. Dafür aber diese Perle:
Ich fand den Vergleich mit dem ersten Ballroom-Video recht interessant. Die Richtung, in welcher sich der Ballroom Tango ästhetisch entwickeln sollte, ist bereits deutlich erkennbar. Die getanzten Schritte sind immernoch dieselben, wie 1920. Und die Musik natürlich…
Die Revolution in den 90ern
Gustavo Naveira, einer der drei Argentinischen Professionals aus dem Film Tangolesson, ist der Entdecker des „Code of Walking“, hier mit seiner ersten Frau, Olga Besio. Olga Besio stammt aus einer alten Milonguero-Familie. Doch obwohl er mit Olga tanzte und verheiratet war, erhielt Naveira wohl in einigen Salons Tanzverbot, da er zu modern tanzte. In den 90ern sah Neotango also folgendermassen aus:
10 Jahre später tanzten Gustavo Naveira und Giselle Ann dann so:
Der zweite Protagonist aus dem Film Tangolesson und der Kombinatoriker des Dreiergespanns, Fabian Salas, hier mit Carolina del Rivero:
Von Pablo Veron gibt es aus verschiedenen Gründen nur sehr wenige Aufnahmen von älteren Performances. Aber diese hier gibt seine einmalige Eleganz ganz gut wieder, wie ich finde:
Die Jahrhundertwende: Neotango und anderes
2003 wurden Sebastian Misse und Andrea Reyero beim Festival in Lausanne vorgestellt als Tanzpaar mit einer sehr „klassischen Energie“. 2003 waren Videos noch praktisch verboten. Sie tanzten damals aber nicht viel anders als in diesem Video von 2010:
Ein Jahr zuvor hatte in Lausanne dieser Auftritt von Chicho Fumboli und Lucia Mazer stattgefunden:
Sebastian Arce und Mariana Montes tanzten im Jahr 2000 so:
2007 dann so:
2010 dann so:
2018 dann so:
Die vielen Gesichter des Tangos
Ich finde es sehr spannend, anhand von Videos die unterschiedlichen Entwicklungen des Tangos nachzuverfolgen. Für mich wird dabei klar, dass die Trennung zwischen traditionellem Tango und Neotango, argentinischem und europäischem Tango oder alle anderen Trennungen, die über die Jahre versucht wurden, tänzerisch nicht wirklich sinnvoll sind. Der Neotango von 1995 sieht dem heutigen traditionellen Tango sehr ähnlich. Der Tango der „Epoca de Oro“ ist dem zeitgleichen Ballroom Tango näher, als dem Argentinischen Tango. Klassischer Tango von 2000 hat wiederum nicht viel mit traditionellem Tango von heute zu tun.
Tatsächlich haben sich alle Varianten des Tangos gegenseitig beeinflusst und inspiriert. Lediglich der aktuelle Ballroom-Tango scheint seinen eigenen Weg zu gehen. Alle anderen Tangos sind seit jeher in einem ständigen Austausch.